Interview von Claude Turmes in der Revue

"Wir haben Rückenwind"

Interview: Revue (Franziska Peschel)

Revue: Seit 1. Januar erhebt Luxemburg eine CO2-Steuer. 20 Euro pro Tonne, knapp 5 Cent pro Liter Diesel. Autofahrer sollen umdenken. Die Kritik lautete im ' Vorfeld, die Steuer sei viel zu niedrig. Können 5 Cent Luxemburger zum Umdenken bewegen?

Claude Turmes: Das ist eine langfristige Maßnahme — 20 pro Tonne jetzt, im nächsten Jahr wird um 5 Euro erhöht, das Jahr darauf auch. Für alle Konsumenten und auch für die Industrie ist das ein klares Signal. Klimaverschmutzung kriegt einen Preis und wer CO2 nutzt, muss in Zukunft mehr dafür zahlen.

Revue: Ist diese Steuer wirksam fürs Klima?

Claude Turmes: Das Statec geht davon aus, dass durch diese Maßnahme eine gute Menge CO2 im nächsten Jahr eingespart wird. Besonders wegen des verminderten Tanktourismus. Die Erhöhung um 5 Cent wird dazu führen, dass etwas weniger LKW durch Luxemburg fahren. Außerdem gehen alle Gelder, die nicht für die soziale Kompensation gebraucht werden, in Hilfen für CO2-mindernde Maßnahmen. Ersetze ich zum Beispiel mein Heizöl durch eine Wärmepumpe, kaufe ich ein Elektroauto anstelle eines Diesels, bekomme ich Geld aus diesem Topf. Wir wollen die Bürger nicht bestrafen, wir wollen es einfacher machen, umzusteigen von klimaschädlicher auf klimafreundliche Technik.

Revue: Luxemburgs CO2-Bilanz ist bisher schlecht. Die CO2-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger sind 2019 in der EU im Vorjahresvergleich um 4,3 Prozent gesunken, in Luxemburg aber um 7,5 Prozent gestiegen. Damit ist Luxemburg Spitzenreiter. Warum schafft Luxemburg es nicht, den Ausstoß zu verringern?

Claude Turmes: Das kann man allein auf den Tanktourismus zurückführen. Der Verkauf von Diesel und Benzin, vor allem Diesel an LKW, ist in den Jahren 2017 bis 2019 stark gestiegen. Er hat sich erst etwas stabilisiert, nachdem 2019 die Akzisen leicht erhöht wurden. 2020 haben wir unser Klimaziel nun voraussichtlich erreicht —was natürlich teilweise auf Corona zurückzuführen ist. Aber wir führen ja die CO2-Steuer ein, damit dieser Effekt Corona überdauern kann.

Revue: Was wird im Verkehr sonst getan?

Claude Turmes: Wir machen Rekordinvestitionen pro Einwohner im öffentlichen Transport und fördern auch den Radverkehr: der erlebt gerade einen wahren Boom. Im Rahmen der COVID-Wirtschaftsmaßnahmen haben wir die Prämie für Elektroautos erhöht. Im Jahr 2019 machten Elektroautos sieben Prozent der Neuzulassungen aus, im Jahr 2020 kommen wir auf 19 Prozent. Man kann also sagen, dass das Jahr 2020 in Europa wie auch in Luxemburg die Trendwende weg vom fossilen hin zum elektrischen Antrieb markiert hat. Auch alle Überlandbusse sollen mit der Zeit elektrisch fahren.

Revue: Neben dem Verkehr ist auch der Energieverbrauch von Gebäuden ein Faktor im CO2-Ausstoß. 2014 hat Luxemburg sich vorgenommen, dieses Problem anzugehen. Wie ist der Stand heute?

Claude Turmes: Für den Neubau von Wohnungen haben wir die schärfsten Normen in Europa, was die Wärmedämmring angeht. In den nächsten Wochen kommt ein Gesetz ins Parlament, wo diese Normen auch für neue Bürogebäude festgesetzt werden sollen. Aufgrund der Zuschüsse, die wir geben, gehen wir davon aus, dass in neuen Gebäuden kein Gas und kein Heizöl mehr eingesetzt werden. Eine weitere Herausforderung ist der Bestand. 80 Prozent der Häuser, die 2050 stehen, sind heute schon gebaut. Deshalb erhöhen wir die Prämien für Renovierungen von Fassade, Dach, Fenstern und Heizung, auch durch die Einnahmen aus der CO2-Steuer. Im Rahmen der Steuerreform wurde zusätzlich eine vergünstigte Steuerabschreibung für die Besitzer von Mietwohnungen eingeführt.

Revue: Wie lange wird es dauern, das Problem in den Griff zu bekommen?

Claude Turmes: Spätestens bis 2050 müssen wir es gelöst haben, weil wir dann klimaneutral sein wollen. Man muss realistisch sein, das ist eine Jahrzehnte dauernde Aufgabe.

Revue: Auch bei erneuerbaren Energien hinkt Luxemburg hinterher. Das Ziel für 2020, elf Prozent des Gesamtverbrauches aus erneuerbaren Energien zu beziehen, war sehr unambitioniert, in der EU, traut sich nur Malta noch weniger zu. Warum so zögerlich?

Claude Turmes: Ich bin gern ambitioniert, wenn es um erneuerbare Energien geht. Aber man muss den Ausgangspunkt betrachten. Wir sind ein sehr dicht besiedeltes Land mit sehr viel Industrie. Etwa die Hälfte des Stromverbrauchs fällt in der Industrie an. Dadurch hat Luxemburg proportional einen überdimensionierten Energieverbrauch. Das ist vergleichbar mit Hamburg, viel Industrie auf kleiner Fläche, aber begrenzte Möglichkeiten, Wind- und Solarenergie herzustellen.

Revue: Wie wollen Sie diesen Rückstand aufholen?

Claude Turmes: Wir haben in den letzten 15 bis 20 Jahren zu viel Zeit verloren. Die Klimawissenschaft ist seit Mitte der 90er Jahre extrem klar, doch durch die Lobbyarbeit der Erdölkonzerne wurde die Wissenschaft unnötigerweise in Frage gestellt. Auch die Politik hat lange gebraucht zu begreifen, was der grünen Partei schon recht früh bewusst war. Doch Fakt ist: Wir werden in den nächsten Jahren Windkraft ausbauen und etwa acht- bis zehnmal mehr Solarpanels installieren als in den letzten Jahren, auf großen Industriedächern, auf jedem neuen Haus. Heute schon produziert Luxemburg Solarenergie für 100.000 Bürger. Bei der Anzahl von Solaranlagen pro Einwohner sind wir auf Platz sieben in Europa. Wir haben viermal so viele Windanlagen wie vor zehn Jahren. 2030 werden 18 bis 20 Prozent unserer Energie aus erneuerbaren Quellen kommen, auch durch die Kooperation mit den Nachbarländern, deren Strom wir importieren.

Revue: Im nationalen Energie- und Klimaplan wurden die beiden großen Ziele Luxemburgs festgelegt: die 1,5 Grad des Pariser Abkommens und die Reduzierung der Treibhausgase um 55 Prozent bis 2030. Ist das in Ihren Augen noch erreichbar?

Claude Turmes: Das Wunderbare ist, dass wir es trotz dieser verlorenen Jahre, besonders dank der europäischen Politik geschafft haben, sämtliche Technik zu entwickeln, die wir dazu brauchen. Dass Solar- und Windenergie jetzt so billig ist, ist das Resultat der EU-Richtlinie für erneuerbare Energien von 2008. Dass es Nullenergiehäuser gibt, ist ein Ergebnis einer EU-Richtlinie von 2012. Dass die Autokonzerne überhaupt vom Diesel loslassen, ist das Resultat der Richtlinie für Neuwagen von 2018. Auch dass sie jetzt in Richtung Elektro denken. Die europäische Politik hat es geschafft, Innovation voranzubringen. Es ist höchste Zeit. Aber die Technik ist da, das Geld ist da. Was noch fehlte, waren die notwendige Wucht und der notwendige Konsens in der Gesellschaft.

Revue: Wie hoch schätzen Sie heute die Bereitschaft der Bürger in Luxemburg ein?

Claude Turmes: Wir haben ausreichend Rückhalt. Den haben wir Greta Thunberg und ihren Mitstreitern auch hier in Luxemburg zu verdanken. In ein paar Monaten 2018 hat "Fridays for Future" mehr Konsens erreicht und mehr Druck in Gesellschaft und Politik gebracht als Klimawissenschaftler und Umweltaktivisten in den 20 Jahren zuvor. Es herrscht Aufbruchstimmung. Das sehen wir auch an dem hohen Zuspruch für den Klimapakt in Luxemburg. Unsere Verantwortung als Regierung ist es jetzt, den Bürgern den Umstieg so einfach wie möglich zu machen, von Diesel auf Elektro, von Heizöl auf Warmepumpe — und der Industrie den von einem Prozess, der viel CO2 verbraucht auf einen CO2-sparenden. Das müssen wir angehen — mit dem Bewusstsein, es ist höchste Eisenbahn. Aber ich bin optimistisch. Auch in Luxemburg sind die Voraussetzungen dafür jetzt geschaffen und die Bürger nehmen die Klimaschutzmaßnahmen an. Wir haben Rückenwind.

Zum letzten Mal aktualisiert am