Interview mit Claude Turmes in der Revue

"Wir werden die energiepolitische Wende beschleunigen"

Interview: Revue (Stefan Kunzmann)Interview: Revue (Stefan Kunzmann)

Revue: Herr Turmes, wie wirkt sich die aktuelle Energiekrise in Luxemburg aus?

Claude Turmes: Die Krise auf den Energiemärkten hat bereits mit der Covid-Pandemie begonnen und wurde durch den Krieg in der Ukraine verschärft. Die Märkte sind volatil und extremen Preisschwankungen ausgesetzt, was wir in den vergangenen Wochen auch in Luxemburg zu spüren bekamen, so zum Beispiel auf dem Dieselmarkt. Aktuell ist die Versorgungssicherheit gut, aber die Preisesind außerordentlich hoch. Und natürlich hätte ein russischer Stopp der Gaslieferungen weitere negative Auswirkungen auch auf unser Land.

Revue: Besteht die Gefahr, dass es im kommenden Winter zu Versorgungsengpässen kommt?

Claude Turmes: Wir müssen mit allen möglichen Entwicklungen rechnen und sind auch darauf vorbereitet. Zurzeit gibt es noch keine Engpässe, die Versorgung ist gewährleistet. Die Frage ist, wie es im nächsten Winter aussieht. Dashat unter anderem damit zu tun, dass die G7-Staaten und auch die europäischen Länder den Forderungen Russlands, Öl und Gas in Rubel zu bezahlen, nicht nachkommen werden.

Denn Letzteres würde das Finanz-Embargo gegenüber Russland umgehen. Wir sind dabei, mit unseren Nachbarländern zu koordinieren, wie es mit Gas, Diesel und Öl weitergeht.

So haben wir gerade zusammen mit den anderen beiden Benelux-Staaten sowie Deutschland, Frankreich, Österreich und der Schweiz, unseren Partnern im "Pentalateral Energy Forum" ein Abkommen unterzeichnet, um die Koordination bezüglich der Speicherung von Gas zu verstärken. Das geht auf eine Initiative von mir im Februar zurück, als ich sagte, dass wir unbedingt eine Regelung für die Gasspeicher brauchen. Wir sind stark, wenn wir unsere Gasspeichergrenzüberschreitend nutzen. Genau das haben wir jetzt schriftlich festgelegt. Das funktioniert auf mehreren Stufen. Auf europäischer Ebene wird das über die "Gas Coordination Group" (GCG) gewährleistet.

Revue: In welchem Maße hängt Luxemburg vom russischen Gas ab?

Claude Turmes: Wenig physisch, weil wir von einer belgischen Gaspipeline versorgt werden. Diese kommt direkt aus Norwegen in Zeebrugge an. Dort gibt es auch einen der weltgrößten Häfen für Flüssiggas, das aus der ganzen Weltangeliefert werden kann. Wir leben in einer Gegend in Europa, wo wir am wenigsten vom russischen Gas abhängig sind. Laut Eurostat erhielt Luxemburg im Jahr 2020 aber 27,2 Prozentseines Gases aus Russland. Damit wäre es knapp hinter Norwegen das zweitgrößte Herkunftsland. Markttechnisch ist es so, dass unabhängig von den physischen Lieferungen, Gaslieferanten Gas von überall kaufen können. In Luxemburg haben wir also durch Lieferverträge einen Anteil von russischem Gas von ungefähr 27 Prozent.

Revue: Die aktuelle Situation liefert viele Argumente für eine Energiewende. Wie steht es mit ihr momentan? Wie kommt der Umstieg auf erneuerbare Energien voran?

Claude Turmes: Darüber sind sich alle einig und wir sehen auch gerade, dass viele Bürgerinnen und Bürger umdenken. Wir werden die energiepolitische Wendebeschleunigen. Auch was Energieeffizienz angeht. Wir haben übrigens in Luxemburg ein Gesetz, das besagt, dass ab 1. Januar 2023 in allen neuen Gebäuden keine Heizungen mit fossilen Energieträgern mehr eingebaut werden dürfen. Darüber hinaus werden wir in den nächsten Wochen die ganzen Prämien, was den Bau und die Renovierung von Häusern betrifft, zum Beispiel für Wärmepumpen, aufstocken. Hinzu kommt, dass sich die administrativen Vorgänge bei dem Stellen von Anträgen vereinfachen und damit beschleunigen. Wir werden auch neue Programme auflegen, um in der Industrie mehr fossile Energien einzusparen, und versuchen, enger mit den Handwerkern zusammenzuarbeiten. Nicht zuletzt sollen auch Einzelmaßnahmen und nicht nur gesamte Konzepte subventioniert werden können. Bisher bekam man nur eine Subvention, wenn man ein Gesamtkonzept vorlegte. Das meiste Geld bekommt man aber auch in Zukunft für eine Gesamtrenovierung. Wir wollen auch jene Bevölkerungsteile verstärkt unterstützen, die geringere Einkommen zur Verfügung haben. Diese bekommen zu den Prämien vom Bauministerium zusätzlich Geld. Und wir werden auch weitere Berater einstellen.

Revue: Wie ist die Aufteilung der Energiequellen in der Stromerzeugung hierzulande zurzeit?

Claude Turmes: Wir importieren ungefähr 80 Prozentunseres Stroms. Von den 20 Prozent des Stroms, die hierzulande hergestellt werden, sind momentan wiederum16 Prozent erneuerbare Energien mit einem Mix aus Windenergie (29 Prozent), Solarenergie, Wasserkraft und anderen. Dann haben wir noch ein paar Wärmenetze, bei denen es eine Kombination aus Gas und Biomassegibt, die nicht nur Wärme, sondern auch Strom erzeugen. Wir werdenden Anteil des Stroms, der in Luxemburg produziert wird, in den nächsten Jahren noch deutlich ausbauen. Luxemburg wird aber auch in Zukunft weiterhin auf Import von Strom angewiesen sein. In diesem Kontext nutzen wir die Möglichkeit, auf europäischer Ebene Kooperationen mit anderen Ländern einzugehen, um somit sicherzustellen, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien auch im Ausland schneller weiterschreitet und der importierte Strom immer grüner wird. Ein Beispiel hierfür ist die Kooperation mit Dänemark bezüglich des Aufbaus einer Energieinsel.

Revue: Kann man eigentlich schon eine erste Bilanz bezüglich der Auswirkungen der CO2-Steuer, die Anfang letzten Jahres eingeführt wurde, ziehen?

Claude Turmes: Ein Jahr ist in der Tat eine kurze Zeit. Außerdem ist die CO2-Steuernoch moderat. Aber sie wirkt gut: Wir sind bei unseren Klimazielen aktuell "on track". Dadurch dass wir die soziale Kompensierung haben –mit 50 Prozent der Steuer unterstützen wir Einkommensschwache, die anderen 50 Prozent nutzen wir für konkrete Klimaschutzinvestitionen. Bevor die CO2-Steuer eingeführt wurde, gab es noch viele Diskussionen. Jetzt besteht ein breiter gesellschaftlicher Konsens darüber.

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