Interview mit Claude Turmes im Telecran

"Wer nicht kämpft, hat bereits verloren"

Interview: Telecran (Jeff Karier)

Telecran: Herr Minister, wie kam es dazu, dass sich die EU-Kommission für eine Einstufung von Atomenergie und Erdgas als nachhaltige Energiequellen ausgesprochen hat? Waren Sie von diesem Schritt überrascht?

Claude Turmes: In den letzten Monaten wurde vonseiten der Atomkraft- sowie der Erdgas-Lobby viel Druck auf die Politik ausgeübt. Aber dass die EU-Kommission so weit gehen würde, hat mich durchaus überrascht. Genau wie der Umstand, dass der Text in einer Silvesternacht, ohne viele Diskussionen in der EU-Kommission, veröffentlicht wurde. Über ein solches Vorgehen bin ich empört.

Telecran: Als Reaktion hat Österreich angekündigt, eine Klage gegen die Pläne der Kommission einzureichen. Worauf fußt der Entschluss der luxemburgischen Regierung, sich dieser anzuschließen?

Claude Turmes: Hier geht es um eine fundamentale Ungerechtigkeit. Einerseits inhaltlich, denn dadurch würde etwa das AKW Cattenom durch grüne Investitionsgelder weiterhin in Betrieb bleiben und wäre somit für viele weitere Jahre ein Risiko. Nicht nur für Luxemburg, sondern auch für das Saarland und Rheinland-Pfalz. Als ungerecht bezeichne ich zum anderen das formale Vorgehen, denn die EU-Kommission hat eine ganz undemokratische Prozedur gesucht, die nicht den normalen Gesetzesverhandlungen auf dem EU-Niveau entspricht. Demokratisch bringen sie somit Luxemburg und andere Länder in eine missliche Situation.

Telecran: Sind Sie optimistisch, dass die Klage zu einem Kurswechsel führen wird?

Claude Turmes: Juristisch haben wir eine Reihe an guten Argumenten, die wir gemeinsam mit Österreich analysiert haben und vorbringen werden. Dass ein solches Vorgehen erfolgreich sein kann, zeigt beispielsweise die Klage von Klimaaktivisten vor dem deutschen Bundesverfassungsgericht, die zur Folge hatte, dass das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung geändert werden musste. Die Zukunft gehört in unseren Augen den erneuerbaren Energien. Sowohl Offshore-Windparks etwa in der Nord-und Ostsee als auch Windkraftanlagen im Landesinneren, wie bei uns in Luxemburg, oder auch der Solarenergie. Wir sehen nicht ein, warum jetzt Banken und andere Investoren vor allem in Atomenergie investieren sollen. Nicht nur ist diese Form der Energieerzeugung gefährlich. Das haben die Nuklearkatastrophen von Tschernobyl sowie Fukushima gezeigt. Außerdem gibt es immer noch keine Lösung für den atomaren Abfall. Der Bau von Atomkraftwerken dauert zudem zehn bis 15 Jahre. Das ist viel zu langsam, um die Klimakrise rechtzeitig zu bewältigen.

Telecran: Aber hat Luxemburg überhaupt überhaupt eine Chance etwas zu bewegen? Immerhin stehen die meisten der Mitgliedstaaten dem Vorhaben eher offen gegenüber...

Claude Turmes: Wer nicht kämpft, hat bereits verloren. Wir sind sehr stolz darauf, dass wir seinerzeit, als der deutsche Energiekonzern RWE in Remerschen eine Atomzentrale bauen wollte, aufgestanden sind und nein gesagt haben. Seither haben wir uns konsequent gegen Cattenom ausgesprochen. Erst kürzlich hat die Chamber eine Resolution angenommen. 60 Abgeordnete stimmten dafür, dass wir uns weiterhin gegen Atomkraft wehren. Daher haben wir als Regierung auch von der Chamber ein Mandat und kämpfen politisch weiterhin konsequent gegen Atomkraft, zusammen mit unseren Alliierten. Das ist nicht nur Österreich, sondern dazu gehören ebenfalls Dänemark, Spanien, Portugal, Irland, aber auch Deutschland. Erst kürzlich habe ich mit den zuständigen Staatssekretären in Deutschland telefoniert.

Telecran: Würden die Pläne der EU also umgesetzt, würde der Ausbau der erneuerbaren Energien ausgebremst werden, da die Gelder in Atom- und Erdgaskraftwerke fließen?

Claude Turmes: Genau, das ist die große Gefahr. Das muss verhindert werden. Mit Wind-, Solar- und auch Wasserkraft können wir schnell vorankommen und haben auch bei den Bürgern eine große Akzeptanz. Luxemburg beteiligt sich an Großprojekten wie der Kooperation mit Dänemark bezüglich einer Art Energieinsel mit hunderten Windrädern. Dieser saubere Strom, der dort erzeugt wird, wird nach Westeuropa geliefert und somit auch nach Luxemburg. Und im Mittelmeer sollen zum Beispiel schwimmende Offshore-Parks entstehen. Das Potenzial ist also enorm. Wenn jetzt jedoch Investitionen in Atom-, aber auch Erdgaskraftwerke als "grün" gekennzeichnet werden, fehlt dieses Geld für solche zukunftsweisenden erneuerbaren Projekte.

Telecran: Wie empfinden Sie es, dass Atomenergie und Erdgas in einen Topf geworfen werden? Das sind doch eigentlich zwei Paar Schuhe...

Claude Turmes: Hier haben sich zwei Lobbys zusammengetan, um die erneuerbaren Energien anzugehen. Es ist absurd, dass jetzt zwei Lobbys, die beim Klimaschutz keine beziehungsweise nur eine kleine Rolle spielen, indessen so viel Gehör geschenkt wird.

Telecran: Erdgas wird unter anderem von der deutschen Umweltministerin Steffi Lemke als wichtige Brückentechnologie für eine klimafreundlichere Zukunft angesehen. Wie sehen Sie das?

Claude Turmes: Beim Gas muss man unterscheiden. Zum Heizen von Häusern haben wir heute Alternativen. Angefangen beim effizienteren Bauen und Isolieren sowie Renovieren bis hin zu Wärmepumpen. Entsprechend wird der Gasbedarf beim Heizen in Zukunft weiter zurückgehen. Bei der Stromproduktion wird es in den nächsten zehn Jahren zwar noch einige Gaskraftwerke geben müssen. Allerdings muss sichergestellt sein, dass man diese dann auch mit grünem Wasserstoff, der zum Teil aus überschüssiger Windkraft gewonnen werden soll, betreiben kann. So würde eine Turbine, die mittelfristig Gas verbrennt, langfristig durch Wasserstoff eine zu 100 Prozent klimafreundliche Technologie sein. Dadurch ist grüner Wasserstoff ein wichtiger Baustein bei der Energiewende, Gas jedoch nicht.

Telecran: Und wo soll die überschüssige Windkraft- und Solarenergie herkommen, um den grünen Wasserstoff herzustellen?

Claude Turmes: Günstiger grüner Wasserstoff wird vor allem mithilfe von großen Wind- (On-und Offshore) und Solarprojekten hergestellt werden. Geeignete Standorte hierfür sind zum Beispiel Skandinavien für Windkraft oder auch Spanien und Portugal für Solarenergie. Von diesen Standorten aus wird der Wasserstoff dann in Europa verteilt werden. Deswegen brauchen wir auch ein gutes und effizientes Verteilungsnetz.

Telecran: Aber bis die Erdgaskraftwerke auf Wasserstoff umgestellt sind: Müsste Erdgas weiterhin von Ländern wie Russland hinzugekauft werden? Macht man sich damit nicht politisch abhängig?

Claude Turmes: Da das Gesamtvolumen an Gas, das wir in der EU benötigen, geringer geworden ist und dieser Trend in den nächsten Jahren auch weiter anhalten wird, sind wir als EU bereits heute weniger von Russland abhängig also noch vor einigen Jahren. In Luxemburg beziehen wir unser Gas hauptsächlich über Belgien aus Norwegen. Hinzu kommt aber, dass die zahlreichen europäischen Gasspeicher, die vor allem im Winter wichtig sind, besser geregelt werden müssen. So hätten wir einen besseren Puffer und würden noch unabhängiger von Drittstaaten werden. Diesbezüglich habe ich einen konkreten Vorschlag bei der EU-Kommission eingereicht.

Telecran: Die Gaspipeline Nord Stream 2 hat also keine Zukunft bei der Versorgung der EU mit Gas?

Claude Turmes: Nord Stream 2 führt nur dazu, dass die Ukraine politisch und die Gasversorgung in ganz Osteuropa geschwächt werden. Als Westeuropäer haben wir aber eine Verantwortung den Bürgern und Bürgerinnen in Osteuropa gegenüber. Und daher ist Nord Stream 2 in der Hinsicht kein sinnvolles Projekt. Es ist im Grunde eine taktische Spielerei Russlands, um Osteuropa und somit ganz Europa zu schwächen, weshalb ich mich persönlich auch immer gegen diese Pläne ausgesprochen habe.

Telecran: Wie schwer ist es als jemand, der sich praktisch sein Leben lang gegen Atomkraft eingesetzt hat, einen Kompromiss auf der politischen Bühne zu akzeptieren?

Claude Turmes: Noch stehe ich nicht vor einer solchen Entscheidung. Aktuell kämpfen wir dafür, dass wir dieses Dossier gestoppt bekommen, und werden, wenn nötig, auch vor Gericht ziehen.

Telecran: Wenn Sie die alleinige Entscheidungsmacht hätten, welche Strategie würden Sie fahren und wie sollten sich die EU und Luxemburg energiepolitisch ausrichten?

Claude Turmes: Die beste Energie ist immer jene, die eingespart wird. Entsprechend würde ich dafür sorgen, dass die Energieeffizienz von Geräten, aber auch Häusern und Industrieprozessen noch weiter verbessert wird. Bei der Stromerzeugung würde noch viel stärker auf erneuerbare Energien gesetzt und dafür gesorgt werden, dass sie vermehrt in Bürgerhand stattfindet. Neben Solar-und Windenergie gehören dazu auch Biogas sowie die bestehenden Wasserkraftwerke. Um die Versorgungsschwankungen auszugleichen, würde grüner Wasserstoff zum Einsatz kommen. Das Ganze grenzübergreifend mit den Nachbarländern in einem integrierten Stromnetz, wodurch wir uns als Luxemburg mitten im besten Stromnetz der Welt befinden würden. Das Ganze würde begleitet werden von einer sozial-ökologischen Steuerreform, welche Klima- und Naturschutz mit sozialer Umverteilung verbindet.

Telecran: Herr Minister, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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